Montag, 9. Juli 2007

Alles Folklore!

Wenn sich Madonna einer Sache annimmt, dann wird diese in der Regel gerade / dadurch in den Popmainstream eingegliedert. Zuletzt hat sich die Meisterin mit Gypsy Punkrock in Person von Gogol Bordello. Wohlmeinende Megaevents sind nach wie vor relevanter, als man glaubt.

Eigentlich hatte ich mir von »Live Earth« keine großen Popwürfe erwartet. Die Zeiten, wo bei solchen Anlässen die Stadionrocktitanen aufeinander kleschten und vielleicht sogar geschichtsträchtige Duette auf die Bühne brachten, sind vorbei. Es gibt kaum mehr Popstars mit übergreifender Bedeutung. Wer wird sich zB in zehn Jahren an die sexy Sängerin der Pussy Cat Dolls erinnern? Mit wem sollen die Showgirls ein Duett singen? Wer weiß, wie die einzelnen Mädels heißen? Bitte mich nicht falsch zu verstehen: Natürlich gehörten solche Truppen immer zum Fundus der Popfolklore. Vor gut 15 Jahren waren die Damen von En Vogue die damals aktuellen Pussy Cat Dolls. Kann sich noch jemand an sie erinnern? Sie hatten gar nicht so wenige Hits. Um 1990 war dafür Live Aid, das große Benefiz Konzert der 1980er, immer noch irgendwie präsent, obwohl schon ein halbes Jahrzehnt her. Es gab nämlich von vielen großen Acts Bilder ihrer »Live Aid« Auftritte, die gern verwendet, und Duette, die gern im Radio gespielt wurden.

Live Aid, die von Bob Geldof erschaffene Mutter aller gut gemeinten Großkonzerte, brachte Queen, David Bowie, Elton John, Mick Jagger, Bob Dylan, Santana, Madonna, Paul McCartney, Tina Turner und noch viele mehr auf die Bühne – all diese Namen sind heute noch geläufig, und sie waren es schon 1985 seit geraumer Zeit. Betrachtet man die Line Ups der diversen Spielorte von Live Earth 2007, wird man zwar bekannte Namen finden, allerdings nicht so kompakt wie bei Live Aid. 1985 wurde nur an zwei Orten gespielt, was eine Konzentration auf international und historisch möglichst relevante Acts begünstigte. Trotzdem, selbst in der Reduktion wäre etwas Derartiges heute nicht mehr möglich, behaupte ich. Die Musikindustrie schlägt lieber kurzfristige Profite aus regionalen Stars, die nach erprobten Mustern vermarktet werden, anstatt nach Talent mit Nachhaltigkeit zu suchen. Entsprechend diversifiziert ist der Markt. Man kann das freilich auch demokratisch finden, und zweifelsohne wird hier irgendein Lokalkolorit gefördert, und seien es die besonders fragwürdigen Vorlieben mancher Länder.

Madonna jedenfalls, als Superstar seit den Achtzigern ununterbrochen gut im Geschäft, schien sich an den symbolischen Mehrwert von Großevents á la Live Earth zu erinnern. So kündigte sie nach der obligatorischen Danksagung an Initiator Al Gore und dem Hinweis auf den eigentlichen Sinn der Veranstaltung ihre »romani-gypsy friends from Gogol Bordello, Eugene and Serge« an, um dann mit deren Unterstützung eine mit Polka versetzte Version von »La Isla Bonita« zum besten zu geben. Da die Gypsy-Elemente sich in so gut wie jeder südlichen und östlichen Musik finden (westlich gedacht), ist die Adaption des Latinpop-Stücks musikalisch kein Problem. Die gerade Kickdrum, die Schrammelgitarre und das wilde Violin-Gefidel integrieren sich bestens, beinahe zu gut, geben der an sich romantischen Nummer Extra-Drive. Formal irritiert wird davon aber niemand. Spannend an der ganzen Sache ist die Ikonografie: Madonna und ihr hochprofessionelles Tanzpersonal lassen sich zu einem kuriosen Veitstanz herab, den Eugene Hütz und Sergey Ryabtzev auf die Bühne bringen.

Während die blonde Popkaiserin trotz schwarzem Flamenco-Kleid mit ihrem eleganten Herrenhut recht urban und stylish wirkt, scheinen sich Hütz und sein Kollege besondere Mühe um einen möglichst räudigen Eindruck gegeben zu haben. Die grellen Folklore-Zitate sind in der Kiste geblieben, aber schwarze Hosen, Cowboystiefel (Hose in den Stiefeln), kuriose Mützen und flatternde Halstücher definieren sie eindeutig als »Countryboys« - die rauen Vokalbeiträge sind zwischen Geträller und Gegröle angesiedelt. Dennoch hat Madonna keine Berührungsängste, hängt sich ein und hopst den seltsamen Tanz der Gäste mit. Indem man gemeinsam einen russischen Refrain singt, wird die Verbrüderung musikalisch signalisiert. Bei »I fell in love with San Pedro« flirtet Madonna aber dann wieder in gewohnter Manier mit einem ihrer Tänzer, ein zweiter gesellt sich dazu, das gewohnte »Vogueing«, also Einfrieren in Posen zum Tableau, wird zelebriert. Zurück zur Tagesordnung? Mitnichten.
Kaum ist die Strophe vorbei, setzt wieder die Geige ein, Eugene singt sein „Stiggidiggidei«, und Madonna tanzt synchronjoggend mit ihren Begleitern zu den wilden Kerlen hinüber. Die gesamte Tanzcrew gesellt sich nun zu dem wilden Reigen, und die Chefin höchstselbst hält Eugene ihr Mikrofon hin, damit er reingrölen kann. Danach führt sie alle zusammen in einer wild tanzenden Parade diesen Laufsteg entlang, den auch schon fast jedes große Konzert hat, und der mit einer kleinen Plattform mitten im Publikum endet. Zuerst wird paarweise im Kreis um Madonna und die bösen Jungs getanzt, ein Latino-Dorffest simuliert. Danach mischt sich Madonna unter ihr Personal, und alle zusammen tanzen um die Gogols eine Art Ringelreigen. Der scheint etwas schlecht geprobt und holprig, die Tanzprofis rempeln sich herum – vielleicht auch, weil bei so primitiven Choreografien das professionelle Feingefühl aussetzt. Schließlich noch mal der gemeinsame Chorus, Madonna und Hofstaat tanzen zurück zur Hauptbühne, Eugene und Sergey bleiben stehen wie auf dem Silbertablett, Bass & Drum pumpen massiv zur Geige und dem »Lei-la-lei-la« aus rauen Kehlen.

Zurück zum Pop

Bis sich dann der übermächtige Discobass von »Hung Up« einschleicht und uns in die »normale« Popwelt hinüber gleiten lässt, während sich die Gypsy Punks zurückziehen. Vom der erdigen Hausmannskost zurück (eigentlich ein Widersinn!) zum gewohnten Hybrid-Sound, von Adaption der Volkskultur zur Selbstreferenz des Pop via Abba-Zitat. Die nun folgenden Choreographien sind Standards, wie wir sie von Madonna seit jeher gewohnt sind und wie es die Calvin Klein Werbung so schön weiterführt. Soll nun diskutieren, ob solche Konzerte für den jeweiligen Zweck was bringen, wer will – ihre Bedeutung als Panorama-Display der Popwelt ist nach wie vor gegeben.

Aber was ist nun die Moral von der Geschicht’? Gogol Bordello sind seit bald zehn Jahren im Geschäft und der Topact eines Musikstils, der seit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende des Ost-West-Dualismus absehbar war. Während Gogol Bordello von Madonna den Ritterschlag zum großen Geschäft erhalten, pflegen sie ebenso den Kontakt zu den lokalen Größen der Diaspora, die in Berlin, Wien und sonst wo ihre Ost Klubs und Russendiskos betreibt. (Madonna unterstreicht damit nebenbei wieder einmal ihre Rolle als Trendmacherin.) Die östlichen Klangfarben sind nicht nur leicht in die Pop- und Rockmusik integrierbar, sie sind oft die bloße Betonung von Komponenten, die ohnehin immer schon Teil des Spiels waren. Ob nun Irish Folk oder Latin-Leidenschaft, stets geht es um das Urige, das wahre, pralle Leben, den Geschmack der Heimaterde – bzw die Ideen von all dem. Nicht nur etymologisch steckt in aller Popkultur die Volkskultur, und noch im smartesten Garage-Bass hallt die Tuba der Dorfblasmusik nach. Popfolklore, Rockfolklore, Ethnoklischees – alles nur Stilmittel aus dem weiten Fundus des Showbusiness. Es kommt selten vor, aber bei Events wie Live Earth wird das alles rausgeräumt und verwendet. Ein Spielverderber, wer Böses dabei denkt.

PS: In der Liste war Nelly (wer den noch kennt...) nicht zu finden – weiß irgend jemand, ob »It’s Gettin’ Hot In Here« vielleicht trotzdem bei Live Earth gespielt wurde?

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