Freitag, 21. April 2006

Er war da und ich war dort

Mike Skinner aka The Streets war am 12. 4. in Wien. Spät, aber doch, hier ein paar Eindrücke von Pressekonferenz und Showcase.

Ich habe selten Interviews mit Leuten von derartiger Attraktion, dass ein Teil der Journalisten zu einer Pressekonferenz zusammengefasst wird. Sogar bei Xavier Naidoo und seinen sohnemännlichen Kollegen hatte ich einen Einzeltermin. Nicht so bei Mike Skinner, der für ein Spezialkonzert eines speziellen Radiosenders angekarrt worden war. Da steht man dann im Designerhotel rum und wartet, schnorrt Zigaretten von einem Kollegen, wo man sich fragt, warum nicht zumindest der einen Einzeltermin gekriegt hat, wenn er für eins, zwei, drei Medien schreibt, die Fellner-Stammzelle hingegen schon.....vielleicht hat er sich ja zu spät gemeldet, und der Andrang war zu groß.

Irgendwann ist es so weit: Der Star erscheint und nimmt hinter der Tischbarriere mit den paar Mikros drauf Platz. Irgendwie seltsam unspektakulär. Er sieht nämlich exakt so aus wie auf den diversen Pressebildern, er wirkt genau so, vor allem, er klingt genau so. Nachdem er selber mit seinem Handy die versammelten Fotografen (die ersten 10 Minuten dürfen sie) geblitzt hat, beantwortet er die Fragen in genau dem Tonfall, den man von seinen Platten kennt. No na, werden manche sagen. Aber wer erinnert sich noch an das gepresste Rockfalsett des Axl Rose im Kontrast zu seiner tiefen Sprechstimme, zett Be?
Da Skinners Vortrag als The Streets immer mehr gesprochen als gerappt oder gesungen ist, besteht praktisch kein Unterschied, ob man ihn auf Platte oder vor der Konferenz im Gespräch mit irgendeiner Tourlady am Gang hört. Sein Modestil: Der »Geezer«, der sich nun etabliert hat. Weiße Turnschuhe (Reebok-Deal), 501, himmelblaue Joggingjacke mit »eleganten« weißen Nähten. Die Ringkombination über drei Finger (2+1), die schon der Kollege von de:bug beschrieben hat. Blasses Bubengesicht mit Teddyaugen.

Trotzdem keine Spur von Naivität, wie man meinen könnte: Mike ist souverän, wirkt sehr fokussiert. Er beantwortet die üblichen Fragen zum Album, erwähnt, dass er nun ein Label gegründet hat. Es wäre klar gewesen, dass er nur ehrlich und echt von sich selber berichten hätte können. Die Erkenntnis, dass Authentizität sein größtes Kapital ist, zeigt seine ausgeprägte Fähigkeit, die Realität zu erkennen und die richtigen Konsequenzen zu ziehen, die eben nicht nur beim Texten zum Ausdruck kommt. Stay real for maximum impact.

Skinners Antwort auf meine Frage, ob es denn wahr sei, dass der Rolls-Royce am Cover ihm gehöre, nimmt auch gleich vorweg, was ich nachhaken wollte. Erst führt er aus, dass er im Moment zwar Probleme mit dem Umbau des Autos habe und es ihm im Moment nicht zur Verfügung stehe, aber tatsächlich gehöre. »Die Räder sind die größten auf einem Rolls in Europa.« (22 Inches) Und es musste ein »Roller« sein, weil der typisch britisch ist. Das wollte ich wissen, er hätte sich ja auch einen BMW oder Mercedes leisten können. Nein, es wäre darum gegangen, british zu sein und gleichzeitig die Liebe zur amerikanischen Rapmusik zu zeigen.
Mike Skinner, das ergibt sich aus dem Kontext, sieht seine Mission darin, der UK Garage/Grime Szene eine klare äußere Form zu geben, wie sie in den USA existiert. Er weiß genau bescheid über die diversen subkulturellen Zusammenhänge von Disco, Black Music und ihre Ableger, das heißt, er kennt auch genau deren Codes und Symboliken. Die Amerikaner könnten mit UK Garage nix anfangen, weil das Black Music mit Disco wäre, und Disco ist bekanntlich im Kern schwul – dafür wären die Amis zu homophob.

Nichts an seiner Inszenierung ist Zufall, und ich zweifle stark an seinem gern lancierten unkontrollierten Drogenkonsum. Wie es tatsächlich mit solchen Leuten läuft, zeigt das Beispiel Pete Doherty. Sicher, nach dem Konzert im WUK läuft Mike Skinner mit einer Flasche Cognac rum, aber wenn er ein Problem hätte, könnte er nicht der Checker sein, der er de facto ist. Alles unter Kontrolle, keine Spur (mehr?) vom dodeligen Geezer.

Auch wenn der ja bisher für tolle Sachen gut war. Das neue Album, das nun nicht mehr den Vorstadt-Loser, sonder Skinners Erfahrungen als Popstar behandelt, ist erst mal nicht so konsistent wie der Vorgänger »A Grand Don’t Come For Free«. Es entwickelt seine Qualitäten aber mit jedem Hören, ist mehr R&B, seltsam getwistete Melodien, zum Teil mehrere parallel, mehr Singsang von den Kollegen, mehr Tempo. Die eigenartige Poesie, die sich beim fast hörspielhaften Vorgänger ziemlich sofort erschloss, ist etwas anderem gewichen. Aber bisher war sowieso noch jedes der drei Alben anders. Übrigens, Poesie ist ein völlig anderes Handwerk, das betont der Meister. Weniger Probleme hat Mike Skinner mit Veränderung, er hält sie für extrem notwendig in seinem Bereich (Grime). Wenn die Fans auf der Homepage jedes neue Album erst mal scheiße finden, gehört das für ihn mittlerweile dazu – er weiß sowieso, was gut ist, da wirkt er sehr sicher, schließlich mache er sich selber mehr Druck als die Plattenfirma, und die Studioarbeit wäre ihm am liebsten.

Live ist Skinners Aussagen nach mehr die Pflicht zu dieser Kür. Trotzdem ein Job, den man bestmöglich zu machen hätte – auch ein ultimativer Ego Kick, trotzdem berge das Touren allzu viele Ablenkungen. Der »Showcase« beginnt im restlos vollen WUK mit drei Nummern vom neuen Album, dann der »Klassiker« »Let’s Push Things Forward«. Show-Einlagen vom Sängerkollegen, kalkuliert edelprolliger Auftritt. Sakkos, aufgesteckte Sonnenbrillen. Deftiger Humor. UK Pub Chauvinismus, wie es sich seltsam gehört. (Setlist/detaillierter Bericht)
Das Set (mit kurzer Pause, anscheinend will man das durch die Ankündigung von 30 Minuten verunsicherte Publikum triezen) endet zuerst mit der aktuellen Single, aber das Gejohle reißt nicht ab. Schließlich ertönen aus dem Off die Streicherakkorde vom Opener des ersten Albums, »Turn The Page«, an sich fett und dramatisch, aber hier tollpatschig gesungen. Hoffnung und Gejohle mehren sich.
Als der Sound dann wirklich bombastisch einsetzt, kommt das fette fitte Finale. Drei Nummern, die jetzt schon jede auf ihre Art Popgeschichte der Zeros sind. Ehrlich gesagt, vorher war alles für mich ein wenig vorhersehbar. Aber nun lassens Mike und Band ordentlich krachen. Primitive Identifikation, die ich sonst verachte, ergreift Besitz von mir. Ich bin zufrieden und renne noch eine Stunde im Kreis, treffe ständig irgendwen. Die gesamte Popinsidergemeinde hat sich versammelt und auch manche, von denen mans nicht zwingend erwartet hat. War nicht nur für mich einer der wenigen Liveacts, die ich wirklich sehen wollte.

Conclusio? Mit Mike Skinner und vor allem seinem Label »The Beats« ist weiterhin und noch mehr zu rechnen. Wenn die US-Kollegen vom HipHop-Magazin schon extra anreisen, weil der Presseandrang bei ihnen zu stressig zu werden droht.....
Ich musste am nächsten Tag um halb sieben auf und ins Waldviertel, dann verlängertes Wochenende. Mittlerweile ist der Frühling in Wien, der erste milde Abend – 15 Grad noch um zehn! Die Leute vom staatlichen Stadtradio saßen heute nicht wie sonst ewig in der Kantine, sondern heraußen beim Café. Gesoffen haben sie vermutlich trotzdem, und auch meine Energien und mein Durst sind immens.

Weiteres in dieser Sendung bei radio u-ton und im kommenden Skug Nr. 67

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