Kunst und Kultur

Freitag, 24. März 2006

Konzertkritik: Sofa Surfers @ WUK 23. 3. 2006

Live räumen die Sofa Surfers mit allen Fragen auf, die ihr Band-Setup mit Sänger Mani Obeya auf Platte offen gelassen hat.

Der Anfang des Konzerts irritiert das Publikum im prallvollen WUK vielleicht noch etwas. Die durchwegs junge Schar war von Mauracher angeheizt worden (Die Konzertkritik ist hier zu finden), nun beginnen die Sofa Surfers ihr Set relativ ruhig.
Wie auf der CD legt sich Mani Obeyas souliger Gesang über einen rockigen Sound, der seine progressiven Ansätze eher aus den 1990ern als den Seventies bezieht. Phasenweise denkt man, Massive Attack wären als Rockband reinkarniert. Jedenfalls, nachdem nicht nur ich mich gefragt habe, wo diese Art (Rock)Musik ihren Platz hätte, ist nun klar: Auf der Bühne. Eigentlich logisch.

Musik und Gesang sind enger beieinander als noch auf der Platte, nach längerem Touren ist die Band gut mit sich und ihrem Material zusammengespielt. Wo einst Zweifel waren, ob dieses Setup länger funktionieren kann, ob es nur eine Studio-Spielerei war, steht nun die Hoffnung, dass die Sofa Surfers in dieser Konstellation noch etwas weiter machen, nachdem sie ja bisher mit fast jeder Platte neue Konzepte probiert haben. Sie halten sich live mit der Elektronik nicht ganz so zurück wie auf Platte, und vielleicht ist gerade das ein Grund, warum das neue Material nun so richtig lebendig klingt.
Dabei bleiben die Sofa Surfers unkonventionell, so wie Obeyas Lyrics ein anderes Vokabular als die üblichen Rock- oder Soulphrasen kennen, insofern ist er die perfekte Ergänzung. Eine Band hat eine Stimme gefunden und schickt sich gleichzeitig an, Rock zu neuen Ausdrucksformen zu verhelfen, so wie es einst Living Colour, Skunk Anansie oder Faith No More gelungen ist.

Vorerst aber bleibt es bei einer ruhigen Form, kraftvoll, aber fast zu beherrscht, und das junge Publikum wartet ab. Auch ich überlege: Das ist definitiv Rock auf der Höhe der Zeit, aber kann es sein, dass man hier Punk ausspart? Dass die Moderne eher durch Soul-Abstraktion, den pointierten Einsatz der Gitarre (kein Geschrammel) und diverse elektronische Klangtechnik entsteht? Ist das noch Rock, oder nur so was in der Art? Die atmosphärische Dichte und die Qualität sind hoch, aber überzeugt es auch die, die vermutlich nicht nur von FM4, sondern auch von gotv so zahlreich angelockt wurden?

Die Frage erübrigt sich, denn nach ein paar Nummern wird gefunkt, Hardcore und Noise-Elemente dürfen im weiteren an der langen Leine laufen. Nun wird vermehrt getanzt, die Sofa Surfers entwickeln beinahe ravige Dimensionen, haben dabei ihren Sound aber immer spürbar im Griff. Vielleicht deswegen kein Pogo und Stagediving, was theoretisch möglich wäre. Gegen Ende wird’s dubbig, Markus Kienzl’s monströser Stampfer »Long Bone« lässt grüßen.

Beim ersten möglichen Schluss beeindruckt Wolfgang Frisch mit einer Gitarre im Stil von Jimi Hendrix’ »Little Wing«, danach folgen wegen anhaltendem Gejohle aber noch weitere Zugaben, das stilistische Potpourri divergiert zusehends von Stück zu Stück. Trotzdem ist der Sound der Band charakteristisch, und Mani Obeya fügt sich tanzend ein, wenn er grade nichts zu singen hat.
Ob das nun Rock ist oder nicht, live sind die Sofa Surfers große Klasse. Umso erfreulicher die Bestätigung von Wolfgang Schlögl, dass man nun erst mal bei dieser Konstellation bleiben will, auch im Sinne von Alben. Das Potenzial ist jedenfalls noch nicht ausgeschöpft.

Artikel zu Sofa Surfers & Mauracher

Radiofeature zu Sofa Surfers & Mauracher

Dienstag, 14. März 2006

Zeitgeist, Vol. 2 – Der Dondrinen Report

Eins vorweg: »die dondrine« in der Kirchengasse ist ein grundsympathisches Lokal. Alle, die in Wien im Trend sein wollen, sollten mindestens einmal dort gewesen sein. An der Kritik von Zeitgeist Vol. 1 ändert das aber gar nichts.

Wer kennt das Café Einhorn nicht? Bildungslücke! Zwar sind seit der Einrichtung dieses Lokals etwa zwei Erdzeitalter Innenarchitektur relativ spurlos an ihm vorbeigegangen, dennoch ist dieser von nachmittags bis vier Uhr früh zugängliche Ort ein feines Biotop für Querköpfe aller Art Das hat seine Gründe in der Wiener Jazzszene der 1970er, nur würden die jetzt zu weit vom Thema wegführen.

Jedenfalls haben sich ein paar von denen, die im Einhorn arbeiteten, selbständig gemacht und letzten Sommer ein Lokal in der Kirchengasse adaptiert, das früher »Soho 7« hieß. Sie haben einen Teil der schick gemeinten Einrichtung durch freundliches Do-It-Yourself ersetzt und das Ergebnis nach einer Frucht aus der Fernsehreihe »Die Maus auf dem Mars« (war früher als »Betthupferl« im Kinderprogramm) benannt.

Also offensichtlich keine direkte Anlehnung an Berlin? Ich werd mir da noch ein paar Gedanken machen müssen, zum Thema lokale Sprachtradition bzw. wie heißen Lokale in welchen Städten. Und was das Auflegen an allen Ecken und Enden betrifft: Da ist »die dondrine« tatsächlich voll im Trend zum heiteren Dilettieren. Jeder darf und kriegt dafür Freigetränke.

Wenn ein Bekannter/Stammgast ein alternative Promi ist und auch mal mag, umso besser. Die »Sendung ohne Name« am 2. März war sehr fein, das Auflegen nebenbei scheint die Herrn Schreiber und Schalko also auch nicht von ihrer »Hauptarbeit« abzulenken. Über manche TV-Formate muss man aber sagen, dass eins sehr gut sein kann, weitere von den selben Machern deswegen aber nicht zwingend besser oder nur annähernd gleich gut sein müssen.

»Krupetzky« ist deutlich spannender als das Gesundheitsmagazin »Primavera«. Aber auf Dauer sind diese »Wir arrangieren Fundstücke«-Geschichten dann auch nicht interessanter als Gerichtsshows mit originellen Laiendarstellern. »Sendung ohne Name« lebt ja nicht nur vom bunt Gemischten, sondern schon auch einer strukturellen und ästhetischen Dichte und einem solid narrativen Konzept, kombiniert mit dezent aktuellen Bezügen, falls das jemandem was sagt. »Krupetzky« wirkt dagegen wie ein Gymnasiastenprojekt.

Und da wärn wir dann bei Stuckrad-Barre, »Wir sind ja alle so kreativ« und der Tatsache, dass man auch das beste Koks nicht unbegrenzt strecken kann. Mit Clubkultur hat das nichts mehr zu tun, aber der Kollege Elektro Pirate und ich werden vermutlich auch mal einen Termin in der »dondrine« machen.

Montag, 13. März 2006

Gefühlsbildungsaufträge: Durchführung Regina Fritsch

Porträit Regina Fritsch:

Zufällig
Reiner Zufall“, der brachte Regina Fritsch zum Theater, oder sollte man sagen das Theater zu ihr? Vorher hat sie alles probiert. Sie war Fernlastenfahrerin, hat einen Tag in ihrem Leben auf der PÄDAK verbracht, und sowohl Metallgestaltung auf der Angewandten, als auch Theaterwissenschaft studiert. Dann stellte sie fest, dass sie vielleicht doch lieber Schauspielerin sein wolle, und schlug das Telefonbuch auf, und suchte sich die erste Schauspielschule aus, die dort zu finden war. Wohin das alles geführt hat? Nun, heute arbeitet diese Frau, die von sich selbst sagt, sie hätte ihren „Stanislavsky nie gelesen“ an der Burg, und auch am Akademietheater, ist charismatisch, und souverän, und geht ihren Weg mit Hartnäckigkeit, und Freude.
Kritik und Liebe
Seit 1985 ist sie fixes Mitglied des Burgtheaters, obwohl es anfänglich schlechte Kritiken auf sie nieder regnete. Sie sagt selbst, sie habe das Theater „oftmals mit Füßen getreten“, und doch hätte es sie „immer wieder zurückgeholt“. Ihre Vorliebe gilt der Wahrhaftigkeit und dem Gefühls-Bildungsauftrag, den das Theater ihrer Meinung nach hat. Sie spielt gerne unterschiedliche Rollen, sonst, so befürchtet sie, könnte es ihr langweilig werden. Trotzdem hat Regina Fritsch ein großes Verständnis für ältere Menschen, die mit neuen Inszenierungen wenig anfangen können. Sie selbst fand die Feierlichkeiten an der Burg, zum diesjährigen Jubiläum auch nicht gerade berauschend, da sie Vegetarier ist, und mit all dem Blut, und der Inszenierung von Nitsch nicht viel anfangen konnte. Es würde sie „schlichtweg einfach nicht interessieren“.
Interesse an Gefühlen
Sehr interessant findet sie derzeit ihre Rolle in „die Frau von Früher“. Diese scheint ihr sehr lebensnah, und gibt Einblicke auf verschiedene Verhaltensmuster. Sie sucht in ihrer Rolle auch nach eigenen Mustern, und möchte so nachvollziehbar wie möglich sein. Privat geht sie lieber in Kino, weil sie doch schon so viel mit Bühnen zu tun hat. Früher, in der Schulzeit, hat sie sich um Theaterbesuche immer gedrückt, obwohl sie immer Literaturbegeistert war. Auch heute arbeitet sie, bevor sie ein neues Stück in Angriff nimmt, vorerst die gesamte Sekundär- Literatur durch, und erst dann geht es ans Schauspielern.
Ängste
Lampenfieber hat sie immer noch. Dagegen tut sie heute nichts mehr, nach ihrer einschneidenden Erfahrung bei dem Stück „Auf dem Land“ von Martin Grimp. Damals hat sie alles versucht: Qi Gong, Yoga, Homöopathie, und nichts hat geholfen, sie wurde nur noch nervöser, und es endete in einem Fiasko. „Jetzt springe ich einfach rein, und es ist besser so“.
Ausflüge zum Film
Das Kino ist auch in beruflicher Hinsicht sehr wichtig für Regina Fritsch, hat sie doch mit „Schlafes Bruder“ auf dem Filmfestival in San Sebastian eine Auszeichnung als beste Nebendarstellerin bekommen. Der größte Unterschied zwischen Theater und Film ist für sie, dass das Kino immer einen bestimmten Typ sucht, und auf der Bühne muss man jeden Typ verkörpern können. Somit bleibt das Kino nur ein „Ausflug“ für sie.
Private Zukunftsaussichten
Dem neuen Wunsch ihrer 15jährigen Tochter, eine Schauspielkarriere zu machen, sieht sie sehr skeptisch entgegen. Sie weiß zwar noch, dass ihre Eltern damals sehr glücklich waren, als die junge Fritsch „endlich“ einen Beruf gefunden hatte, selbst will sie jedoch nicht, dass ihre Kinder einmal auf einer Bühne enden. Zusätzlich will ihre Tochter „richtig berühmt werden“, und nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter steigen. Wahrscheinlich sind diese Situationen in welchen Regina Fritsch ihren indischen Weisheitslehrer anruft, und einen Termin ausmacht, während sie sich ein paar Räucherstäbchen anzündet, denn Zen-Buddhismus war schon immer sehr interessant für sie. Ob sie die Nummer ihres indischen Weisheitslehrers auch aus dem Telefonbuch gesucht hat, kann man nicht sagen. Auf alle Fälle ist es gut, dass es das Telefonbuch gibt, denn sonst würde Regina Fritsch wohl noch heute mit ihrem Lastkraftwagen an die Uni fahren.

Zusehen derzeit in den Stücken:
Die Frau von früher
God save America
Zettelträger Papp oder Meine Frau hat eine Grille
Der Verschwender

www.burgtheater.at

Auf Lachen folgt Weinen

Solche Geschichten schreibt die Wirklichkeit, oder die Feder von Roland Schimmelpfennig. Im Akademietheater, in dem Stück „die Frau von früher“, folgt Weinen auf Lachen. Tiefere Einblicke in die Menschlichkeit sind unerträglich.

„Fragil“. Dieses Wort steht am Anfang und so bewegt man sich durch diesen Theaterabend. Fragil ist der Mensch, und seine Hoffnungen, Wünsche und Träume. Katrin Brack stellt uns diese Kiste hin, mit fragilem Inhalt. Was erwartet uns Zuseher? Gold, Silber, Porzellan? Auf jeden Fall gibt es jede Menge Scherben, obwohl es sich weder um Gold, noch andere Wertgegenstände handelt. Es sind doch die ganz normalen Geschichten die das Leben schreibt, welche Menschen zerbrechlich machen. Anfänglich ist alles ruhig. Eine Familie, eine ganz normale Familie, bereit aufzubrechen zu neuen Zielen und neuen Träumen. Alles ist gepackt, nichts wird zurück gelassen. Die Zukunft kann beginnen, als sie auf die Vergangenheit aufschlägt. Romy Vogtländer, hervorragend verkörpert von Christiane von Poelnitz, ist die Vergangenheit die sich einfach vor die Türe stellt. Sie kommt mit einer Forderung. Der Herr des Hauses, Frank (Markus Hering), gab ihr einst, vor 25 Jahren das Versprechen sie immer zu lieben. Sie hatten nur einen Sommer, aber für Romy war es „der“ Sommer, und eindeutig „der“ Mann ihres Lebens. Wie der Tod steht sie vor der Türe, gekommen um ihr Opfer zu holen. Was anfangs lächerlich wirken möchte, wird tatsächlich ein tödliches Spiel. Wo das Publikum noch schallend lachen konnte, bleibt ihm schon nach einer halben Stunde das Lachen im Hales stecken. Ein eisiger Hauch über uns alle.

Nächste Aufführung des Stücks:
16.März 2006 im Akademietheater Wien

www.burgtheater.at

Dienstag, 28. Februar 2006

Zeitgeist, Vol. 1

Es begann kurz vor der Jahrtausendwende, da entdeckte Wien wieder einmal Berlin. Nicht, dass diese deutsche Stadt nicht schon in der Zwischenkriegszeit weltoffener und hipper gewesen wäre, aber nach dem Mauerfall trat diese Qualität erneut in extremer Weise in den Vordergrund.

So sah sich Wien, oder vielmehr der hippe Teil davon, also bemüßigt, »ein’n auf Berlin zu machen«. Radiomoderatoren ersetzten Wörter wie »heiß«, »scharf«, »geil« durch »knorke«. Schlaue Lokalmacher wiederum erkannten das Potenzial der »Trendkneipe«, wie es zu diesem Zeitpunkt am Prenzlauer Berg schon gang und gäbe war (vermutlich war das aber schon eine Adaption eines alten Kreuzberger Konzepts). Parallel wurde alles, was in Wien an progressiven Konzepten neu antrat, mit Berlin assoziiert.

Ein bisschen retro, ein bisschen modern, etwas Chic kombiniert mit schnoddrigen Second Hand Möbeln: An sich kein schlechter Ansatz, »trashy meets arty«. Nicht zu groß und nicht zu klein, etwas verwinkelt mit viel Platz zum Kennenlernen. Muffige Studentenkellerparties waren Geschichte, Stadtkinder trafen plötzlich StudentInnen vom Land in neuen Trendlokalen im Zwischenraum von Bar und Barsitzbank.

Neue Urbanität entstand, der Verständlichkeit halber von Wiener Opinionleadern mit dem Label »Berlin« ettikettiert. Dazu konnte im Prinzip jeder seine Musik präsentieren, die Loungegrooves von Kruder & Dorfmeister gaben in den 1990ern vor, dass jedes Lokal einen DJ haben musste, wenn es was auf sich hielt. Da die »Trendkneipe« kein richtiger Club war, war auch der Spielraum größer. Dilettanten konkurrierten mit Profis, dazwischen tat sich ein weites Feld auf, etablierte DJs verfluchten Sittenverfall und lausige Gagen. Trotzdem, irgendwer legte immer auf.

Gut ein halbes Jahrzehnt nach dieser Zeit hat dieses durchaus fruchtbare Phänomen mittlerweile kuriose Blüten getrieben. Immer mehr Lokalmacher treten auf den Plan, es ist ähnlich wie mit den Frisören, die kreative Namen haben. Sind es die Barkeeper der ersten Generation? Kreative auf der Suche nach dem ultimativen Hobby? Entsprechend auch immer mehr kuriose Lokalnamen und DJ-Programme.

So legen nun auch in einem Lokal, das irgendwie ein Würstlstand sein will, DJs auf. Die Imbissbude auf DeLuxe-Niveau, mit dem adäquaten Preisleistungsverhältnis. Obwohl der Bio-Blutwurstburger noch gut und preiswert ist, kostet er mehr als der beste Kebab, der beim Halal meines Vertrauens von einem streng muslimischen Ägypter »Schawerma« geschrieben wird (und aus echt österreichisch geschächtetem Ökokalbfleisch bereitet ist!). Ob dieser dem Vorurteil nach dann mit meinem Geld Extremisten unterstützt, ist mir eigentlich wurscht bzw. vielleicht krieg ich dann im Himmel sogar eine Jungfrau, obwohl ich katholisch bin.

Aber wir kommen vom Thema ab: Alles, was nach dem trendigsten Genre der Zeros, nämlich Electroclash, klingt, ist gut. Dass Electroclash mittlerweile in Berlin ähnlich schief beäugt wird wie Downtempo in Wien, ist den Wienern egal. Zumal die Differenzierung nicht so weit greift, dass zwischen Electroclash, schlechtem 80er Retro, Bastard und enthusiastisch, jedoch stümperhaft zusammengemurksten Lieblingsplatten unterschieden wird – das durfte ich neulich samstags (!!!) in einem dieser »Berlin-in-Wien«-Elektroschuppen feststellen.

Hauptsache, ein paar besoffene Freundinnen des DJs tanzen. Als besondere Garnierung legen in besagten Lokalen als Ergänzung zu den fröhlichen Dilettanten an anderen Tagen dann alternative-Promis auf . Das ist zwar weniger schlimm und kann zeitweise ganz lustig sein. Wenn es aber überhand nimmt und die Quasipromis in den diversen Lokalen rotieren, verliert die Sache stark an Reiz bzw. kann man ebenso gut eine passable Computerplaylist spielen.

Wo wären also diese »DJs« ohne diese Lokale? Sie wären vermutlich nur das, was sie eigentlich sind, was ja in der Regel auch nichts Übles bedeutet. Aber weil wir in einer Zeit der Aufmerksamkeitsökonomie leben und alle sooooo kreativ sind, reicht das alleine nicht mehr. Und die Kreativität der Lokalmacher wurde meist durch Namen und Einrichtung so strapaziert, dass das Programm eine Mischung aus Szene-Bewährtem und Preiswertem sein muss, mit DJing aber nur mehr wenig zu tun hat (Hm - Eigentlich eh wie die Einrichtung).

Komisch, dass gerade ich das sage, aber vielleicht kommt über kurz oder lang doch mal wieder eine Trendwende, in Richtung »DJ nur wo nötig oder gar nicht«. Vielleicht ist diese Entwicklung aber auch nur der nächste Aufguss von Loungegeplätscher im neuen Gewand. Mit Sicherheit macht es Wien urbaner, vielleicht kann die Stadt dann sogar mal den Berlin-Komplex abschütteln.
Vielleicht fährt auch mal jemand nach Berlin und stellt fest, dass es dort in Kneipen meist reicht, wenn die Barperson zeitweise die CD wechselt.

PS: Letzter Spross dieser Pflanze übrigens: »die dondrine«, Kirchengasse 20.
Neben jeder Menge »kreativer« DJ- und Clubnamen findet sich dort am Programm (lt. Falter 8/06) ein gewisser Fred Schreiber als Musikgestalter wieder und (kurios/immerhin) mit Marcus Neve auch einmal in dieser Woche ein einschlägiger Profi.
Inspektion und Bericht demnächst.
Schreibers Kollege David Schalko legt übrigens vier Tage nach ihm zum Imbiss auf.

Sonntag, 12. Februar 2006

Der Tod ist ein langsamer, ruhiger Fluss

Filmkritik zu „Last Days“ vom Regisseur Gus van Sant

Ein offensichtlich verwirrter Mann taumelt in Pyjama und Delirium durch einen Wald, stammelt unverständliche Worte, stolpert einen Abhang hinunter, kommt zu einem Wasserfall, springt in den Fluss – der Inhalt des ganzen Films steckt in dieser Sequenz vom Beginn: Es ist die Geschichte der Verirrung und des Abstiegs von Blake (Michael Pitt), der letztlich über den Fluss qua Jordan geht. Ein wenig überraschendes Ende angesichts der Tatsache, dass der Film eine Hommage an den Grungevater Kurt Cobain ist, der sich am 5. April 1994 eine Kugel in den Kopf jagte.
Der Plot ist nur vage an die Biographie Cobains angelehnt. In einer Landvilla verbringt Blake nach einem Ausbruch aus der Reha-Klinik seine letzten Tage mit seinen nicht minder drogensüchtigen Bandkollegen Scott und Luke und deren Freundinnen. Isoliert und autistisch schlurft Blake durch die leeren Räume des gewaltigen Gebäudes auf der Suche nach etwas, das er in seinen stotternden Mitteilungsversuchen nicht auszudrücken weiß.
Darin stellt Last Days eine angenehme Abwechslung zu den BioPics der letzten Jahre dar. Statt pseudodokumentarischen Stils steht eine stumme Beobachterkamera, statt Nirvana-Retrosounds selbstkomponierte Lieder von Michael Pitt, statt falsch verstandener Authenzität, die letztlich immer zu Verfehlung des Kerns führt, eine freies Reflektieren über Drogen und Rausch. Vielmehr bezieht sich der Film auf einen Klassiker der Drogenliteratur, Aldous Huxleys „Doors of Perception“: Der Autor des pessimistischen Zukunftsromans „Brave New World“ postuliert die Notwendigkeit des Rausches für die menschliche Existenz, da er Türen in der grauen Wand der Alltagswahrnehmung öffnet, er warnt aber vor den negativen Auswirkungen auf psychisch Labile. Auch wenn die schlichte Kamera von Gus van Sant keine Darstellung der synästhetischen Wahrnehmungsverschiebungen erlaubt, so lassen sich doch Parallelen in der Darstellung der Natur erkennen. In lang gezogenen, langatmigen, manche sagen langweiligen Kameraeinstellungen zeichnet van Sant ein elegisches Bild des Waldes rund um das Landhaus. Der Wald, im dem sich Blake wie weiland Hänsel und Gretel verirrt.
Der Wald ist nicht das einzige Element der Zeichensprache des Films. Wasser als Symbol des Todes hört man plätschern, wenn Blake im Jux und mit Gewehr durch die Schlafzimmer seiner Bandkollegen schleicht, ebenso wie kurz vor dem unvermeidlichen Finale. Zwischen diesen beiden Szenen stehen die zahllosen Versuche des Protagonisten, aus dem Dickicht hervorzubrechen. Die einzig lichten Momente in seinem Dämmerzustand sind, wenn Blake seine Einsamkeit mit den Instrumenten in die Welt schreit.
It’s a long way from death to birth.

Freitag, 3. Februar 2006

Schwätzeralarm - eine Theaterkritik

Oh Gott. Absolute Horrorvision. Da sitzt man in der Straßenbahn und liest demonstrativ in der Zeitung, hört unkommunikativerweise I-Pod, starrt in völliger Ignoranz der anderen Fahrgäste aus dem Fenster, und dann kommen sie und setzen sich auf den Platz gegenüber – die Schwätzer.
Na? Schönes / Schlechtes Wetter heute, nicht wahr? Hören’S / Lesen’S / Sehen’S was Interessantes?
Gut. In einer Straßenbahn kann man dem ganzen aus dem Weg gehen, indem man ehest möglich aussteigt. Schlimm, wenn einem das Ganze an einem Ort passiert, wo man nicht flüchten kann, wie zum Beispiel in der Wartehalle eines Flughafens. Schlimmer, wenn der Schwätzer nicht nur übers Wetter reden will, sondern sein ganzes Leben ausbreitet. Noch schlimmer, wenn der Schwätzer ein Mörder und Vergewaltiger ist. So gesehen im Stück „Kosmetik des Bösen“ von Amélie Nothomb im Theater Drachengasse in Wien.
Wie sehr könnte der Geschäftsmann Jérôme Angust (Andreas Steppan) den unfreiwilligen Aufenthalt am Pariser Flughafen Charles De Gaulle mit der Lektüre eines an sich uninteressanten Buches genießen, wäre da nicht dieser penetrant aufdringliche Textor Texel (Oliver Huether), der ihm um jeden Preis seine Lebensgeschichte andrehen will. Trotz betonter Kaltschultrigkeit Jérômes lässt sich Textor nicht davon abhalten, von seinem ersten Mord und den darauf folgenden Untaten zu erzählen. Ein Tanz aus Abstoßung und morbider Faszination zerrt die beiden Protagonisten in einer Abwärtsspirale immer tiefer in ungeahnte Abgründe des menschlichen Geistes und letztlich an den Punkt, an dem sich ihre beiden Schicksale zu einem furiosen Linkswalzer schwindlig drehen.
So schlicht, so einfach, so genial: Zwei Schauspieler in einem Sprechstück, ohne Atem, ohne Pause, ohne Ausweg. Eine Geschichte, deren überraschende Wendepunkte süchtig nach den krausen Gedanken und krankhaften Neigungen des inneren Feindes Texel machen. Die Einheit von Raum und Zeit verdichtet auf einem Stück Niemandsland am Flughafen, auf ein Stück Nicht-Zeit beim Warten auf einen verspäteten Flug, alleinig akzentuiert durch den spärlichen Einsatz von Licht und Musik.
Wie in der Göttlichen Komödie steigt Angust immer tiefer hinab in die Höhlen und Höllen des Unbewussten, allerdings ist sein Begleiter kein humanistischer Dichter und Philosoph a là Vergil, sondern ein zynischer und getriebener Dämon. Und letztlich bleibt ihm auch der Anblick des Purgatoriums und des Paradieses verwehrt: Vor dem Kern der Erde und des menschlichen Wesens angelangt, im Antlitz des Inneren Feindes erstarrt und kapituliert Angust. Die Weltenordnung („Kosmetik“ aus dem Griechischen) des Bösen erlaubt kein Happy End.

u-wort

der weblog von radio u-ton

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Die Redaktion
Paul Lohberger Redaktionsleiter Bernhard Lichtenberger Themen:...
Luxxx - 13. Jan, 10:11
Gut gebrüllt!
Und Tod all den gedankenlosen Massenmails! Hasta luego!...
Luxxx - 22. Aug, 16:52
Wir schaffen alles ab!...
Heute erreichte mich die erste Weiterleitung im Zusammenhang...
powlee - 22. Aug, 12:52
UFFIE VS M.I.A.: Sytle...
Eine interessante Geschichte zum Thema findet sich...
powlee - 20. Aug, 15:22
Alles Folklore!
Wenn sich Madonna einer Sache annimmt, dann wird diese...
powlee - 9. Jul, 19:28

Suche

 

Status

Online seit 6685 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 13. Jan, 10:11

Credits


Kunst und Kultur
Medien
Ohrenzeuge
Radioprogramm
Sendungen
Statut
Universitaet
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren